Ein anderes Leben lesen
Nach dem Einbruch der Dunkelheit kommen wir zurück von einem zwei-wöchigen Familienbesuch in Deutschland. Wir waren seit 7 Uhr morgens unterwegs. Nun endlich holt Oma alles aus ihrem Stadt-SUV raus und prügelt ihn unsere steinige Bergstraße hinauf. „Gib Gummi, Oma!“, rufen wir und der Unterboden knallt immer wieder laut auf. „Klingt gar nicht gut.“, denke ich mir. Mittlerweile gleicht die Straße eher einem Bachlauf. Die Bergkette der Serra Estrela liegt an diesem Abend unter einer dicken Wolkendecke. Es ist kalt, windig und verdammt ungemütlich. Und dennoch, die frische Bergluft umgibt unsere vom Reisen müden Glieder wie eine Wolke der Geborgenheit. Mit den ersten Atemzügen dieser Luft breitet sich eine tiefe Seligkeit aus. Mindestens genauso selig springen uns unsere Katzen entgegen, sie miauen nach Streicheleinheiten und mehr Essen. In der Küche finden wir ein Tablett mit Abendessen von unserer Nachbarin, frisch gebackenes Brot, Kürbismarmelade, selbst eingelegte Oliven, Salate und warme Suppe. Balsam für die Seele! Martins Mama hatte Bier, Wein und Cider gekauft. Balsam für den Rachen! Na, die kennt uns einfach. Folglich essen, trinken und schlafen wir richtig gut. Wir sind wieder umhüllt von der Magie des Berges.
Die folgenden Tage sind leider geprägt von lauten Auseinandersetzungen zwischen den Kindern. Und meine Stimmung ist auch wirklich mies, ich schimpfe immer lauter nach Ruhe. Die vielen Eindrücke in Deutschland geistern in meinem Hirn umher. Den Kindern geht es Anbetracht ihres Verhaltens nicht anders. Alle waren wir irgendwie noch aufgewühlt von der Zeit in Deutschland. Es war nichts super Aufregendes geschehen. Es war einfach nur schön gewesen, unsere Lieben zu sehen und zu drücken. Alle miteinander haben sie sich so viel Zeit für uns eingeräumt und wir hatten sehr schöne Gespräche und Momente. Das ist das Schöne: Wir hatten uns so viel zu Erzählen. Schon allein der Empfang am Flughafen mit selbstgeschriebenen Schildern und lautem, peinlichen Gejubel hat uns sehr bewegt. Unsere Familie ist groß, laut und kinderreich. Unsere Kinder haben so viele Cousinen und Cousins zum Spielen und ich schmelze, zuzusehen wie sie nahtlos ins Spiel finden, obwohl sie einander fast zwei Jahre nicht gesehen hatten. Benno wird willkommen geheißen. Tränen fließen. Vor Freude und Trauer um die verpasste Zeit. Wir halten uns im Arm. Manches braucht keine Worte. Und dennoch, wenn unsere Familie zusammenkommt ist es immer laut, wuselig und lustig.
So verbrachten wir viel Zeit an jenen Spielplätzen, auf denen ich als Kind schon gespielt habe. Schlenderten durch jene Straßen in denen ich als Jugendliche Zeitungen ausgetragen habe, aßen in dem Haus welches mein Opa baute und in dem schon so viele Menschen geboren wurden, lebten und starben. Auch meine Lou ist in dem Haus geboren. Jaro hat ein sehr prägendes Jahr hier verbracht. Es ist alles so vertraut, wie eine Reise zurück in die Zeit. Natürlich verbrachten wir auch Zeit mit Martins Familie und ein paar Freunden. Wir kamen wieder in den Genuss von fränkischem Bier, dunklem Bauernbrot und frischen Brezen. Wir liefen auf tristen, grauen Gehwegen an eingezäunten, gepflegten Vorgärten vorbei. Was für ein Unterschied zu dem wilden Fleckchen, von dem wir kamen.
Und nun wieder zurück. Ich habe mich schon gefragt, was das mit mir machen wird, wieder in die alte Heimat zu kommen. Hatte die Befürchtung, vielleicht doch wieder zurück zu wollen. Und ja, es gäbe Gründe. Ich vermisse meine Familie unbeschreiblich. Wenn ich einen Wunsch habe, dann ist es jener, sie öfter zu sehen, denn sie gehen mir verdammt ab. Doch es ist noch nicht so, dass ich sagen würde, ich möchte mein Leben wieder in Deutschland verbringen. Denn gleichzeitig realisierte ich, dass ich mich verändert habe. Von jemandem, der nicht wusste wo er hingehörte, weiß ich mittlerweile wer ich bin. Martin und ich, wir lesen und leben unser Leben bewusster. Wir haben keinen Stress, Zeitdruck oder vollgestopften Terminplan auf unserer kleinen, steilen Farm. Somit können wir das Leben wirklich intensiv „lesen“. Was bedeutet, wir können uns intensiv mit unseren Gefühlen, Emotionen, Gedanken, Handlungen und Visionen auseinandersetzen.
Wir wollten aus unserem alten Leben ausbrechen, denn wir wollten es neu erfinden. Und müssen dadurch jeden kleinen Furz neu denken. Was Privileg und Bürde zugleich ist. Wir haben für dieses Leben vieles aufgegeben. Geister der Vergangenheit hockten mit im Umzugsgepäck und kommen gerne mit Überraschungseffekt aus ihrem Versteck. Es klingt auch alles sehr romantisch und abenteuerlich, was es auch auf jeden Fall ist (irgendwelche Gründe haben wir ja schon ;)) und vielleicht denkt ihr euch: „Oooch was für ein romantisches Familienabenteuer!“ Doch es gibt Tage, an denen ich alles hinwerfen möchte und unsere Entscheidungen in Frage stelle. Ich wusste nicht, wie wütend, traurig und deprimiert ich sein kann, bevor wir hierher kamen. Und dieser Traum wäre auch schon längst zerbrochen, wären Martin und ich nicht so ein gutes Team. Wir sind immer füreinander da. Das ist unser Anker. Er gibt mir Halt in Zeiten in denen ich mich hilflos und traurig fühle. Und ich ihm Bier. Dafür bin ich unendlich dankbar. Unsere Beziehung ist ein Geschenk und ich bin überglücklich, dass dieses Leben so gütig mit mir ist.
In mir wächst immer mehr ein warmes Gefühl im Magen. Ich denke wir sind diesem etwas anderen Leben hier gewachsen. Sonst wären wir schon längst hier weg. Ich denke an Tage an denen wir nackig in unseren eigenen Gartenteich springen. An surreale Sonnenuntergänge, die wir zusammen bestaunen. Wir haben ein tägliches Sonnenuntergangsdate. Ich denke an unseren 5-Jährigen Jaro, der mir die Angst vor Schlangen nimmt. Ich denke an alle unsere Kinder, die so frei in der Natur aufwachsen dürfen und uns die besten Lehrer sind. Ich denke an die malerische Bergkulisse vor der wir leben. Ich denke an dieses echte Leben, wo für uns vieles sinniger und stimmiger erscheint. Ich denke an diese herzensguten Menschen die uns umgeben. Verbindungen mit dem Herzen, die ich aus meinem Leben vorher so nicht kenne. Niemand muss funktionieren, jeder darf sein. Dazu fällt mir ein guter Spruch ein von Dr. Michael*: „Are you a human being or a human doing?“ Und nun erkenne ich, ich war gleichzeitig auch nie auf solche Weise ruhig und angekommen, wie ich es hier bin. Und das hat dieses Leben mit mir gemacht. Ich bin auf dem Weg in mein Zuhause in mir selbst. Danke Leben.
Und hier kommen exklusiv noch aktuelle Bau- und Landschaftspflege-News:
1. Kompostklo macht den Off-Grid-Farmer-Popo froh
Unser Kompostklo außen ist fertig. Fertig? For real? B*tch pleeeeease?
Okay, nicht zu 100%. Der Sockel und die Treppe müssten noch verputzt werden, aber es ist voll funktionstüchtig. Deckel hoch, draufsetzen, loslegen, abputzen. Und ganz wichtig: Sägemehl drauf. Für den guten Geruch. Waschbecken mit fließendem Wasser und Seife gibt’s auch. Ich weiß, wir sind einfach sehr edel mit dabei! Wir haben zwei Auffangboxen mit je 1 Kubikmeter. Wenn einer voll ist, wird der Klositz über der anderen Box installiert. Dann kompostiert die Kacke im ersten Behälter so lange bis der zweite voll ist. (ca. 1 Jahr). Dann wird die vorkompostierte Kacke auf einen Komposthaufen verlagert und der Klositz wieder über der ersten Auffangbox installiert. Diese Kacke kompostiert dann wieder ein Jahr, bevor sie dann bei unseren Bäumen als wertvoller, nährstoffreicher Kompost eingesetzt werden kann. We love that shit! Und Martin, ich liebe Martin, weil er einfach in Nullkommanix tolle Sachen bauen kann.
2. Cleanen
Wegen der Brandgefahr wollen wir uns auf die trockenen Sommer gut vorbereiten. Das heißt leider, wir können nur wenig Raum zum Verwildern lassen und Buschwerk und Gras halten wir an vielen Stellen kurz. Deshalb sind wir gerade viel beschäftigt mit der Motorsense. Wir haben auch noch mehrere große Ginsterfelder. Der Ginster muss weichen, der brennt einfach zu stark, auch wenn es ein wenig weh tut, denn diese Buschlandschaft bietet so vielen Tieren Rückzug. Wie Vögeln, Wildschweinen und der sogenannten Ginsterkatze. Vielleicht lassen wir ein paar „Rettungsinseln“ stehen. Das machen wir auch in der Wiese mit kleinen Wildblumeninseln.
3. Gemeinschaftsgarten und eigener Garten
Wir lieben den Frühling hier sehr. Es ist fast wie ein wachküssen. Ich würde gerne eine Ode schreiben, so gerne erlebe ich diese Jahreszeit. Call me Schiller, alter. Aber Spaß beiseite, es ist wirklich traumhaft. Frühling heißt Vogelgezwitscher, Blüten an unseren Obstbäumen, abertausende grüne Explosionen von Wildkräutern in den Wiesen, das erste Mal Barfuss im Matsch, Türen offen lassen, Molche und Frösche entdecken. Aber vor Allem heißt Frühling Gemüsegarten. Wir haben dieses Jahr mit unseren Nachbarn das Projekt Gemeinschaftsgarten ins Auge gefasst. Wir haben Beete angelegt, Samen gesäht und schauen den Gemüsepflänzchen beim Wachsen zu. Bald wird es Zeit für sie an ihrem Fleck im Beet Platz zu nehmen. Auch im eigenen Obst- und Gemüse-Garten findet gerade ein neuer Apfelbaum sein Zuhause und Radieschen und Zwiebeln wurden ausgesät. Es macht einfach sehr viel Spaß sich die Hände schmutzig zu machen und sich auszuprobieren. Die Kinder lieben es Blumensamen zu streuen. Doch wir haben dieses Frühjahr extrem viel Regen. Auch Schnee… Was eben auch Segen ist, doch wir freuen uns jetzt einfach auf die wärmeren Temperaturen und die Sonne. Der Winter war lang genug und es ist auf engem Raum gerade wieder eine Zerreißprobe für alle.
4. Anti-Social-Plattform für Mama
Ich hatte schon immer diesen einen Lieblingsfleck unter vielen. An einer Eiche an der die Aussicht einen selig werden lässt. Sie erinnert auch, wie schön es hier ist und warum wir hier sind. Schon lange hatte ich mir einen Fleck gewünscht an dem ich in Ruhe Yoga machen kann, meditieren probieren, ein Buch lesen. Ohne „Mamaaaaaaaaa, ich will…“. Dann hat Martin in einer Hau-Ruck-Aktion eine echt coole Plattform aus alten Holzdielen gebaut. Sie steht auf alten abgesägten Baumstümpfen. Zufällig hat jemand im Dorf zwei bequeme Sessel auf die illegale Müllhalde gestellt. Jackpot! Die stehen nun auf der neuen Plattform und warten nun darauf auf unsere Pogrösse eingestellt zu werden.
5. Einmal Haus aufstocken, bitte!
Da das Thema Raum seit langer Zeit brennt, haben wir uns nun für die schnellste Lösung entschieden: Das Holzhaus in dem wir leben zu vergrössern. Martin traut sich dieses große Projekt zu und fängt an, sobald es verdammt nochmal aufhört zu regnen! Petrus, attention please! Durch sein Geschick sparen wir uns eine Menge Geld. Er hat nun relativ günstig Holz bekommen und wir möchten verschiedene Recycling-Fenster einbauen. Wir möchten versuchen, so viel Material wie möglich Second- bis Eightieth- Hand zu verwenden. Dieses Haus wurde solide gebaut und wir möchten es in seiner Einfachheit lassen und im Rahmen unserer Möglichkeiten zu vergrößern. Dazu fällt Martin bald tote Kastanien auf dem Land: Dann haben wir kerzengerades, stabiles und wunderschönes Holz für Balken. Als nächstes ziehen wir in unser Zelt, damit wir das Haus ausräumen können und das Dach und die Wände werden folglich abgebaut, damit Martin den zweiten Stock anbauen kann. Das Bad und die Küche werden wohl Platz tauschen und die Schlafräume werden nach oben verlagert…mal sehen was im Endeffekt dabei rauskommt. Ich bin gespannt! Seid ihr es auch?
So schön geschrieben, ich bin ganz gerührt. Auch spannend und richtig lebendig. Hat mich zum nachdenken gebracht. Jedenfalls habt ihr alles richtig gemacht. Drück dich und ganz liebe Grüsse.
Jamie hat schon wieder gefragt, wann wir Euch mal wieder besuchen. Wahrscheinlich werden wir Euer Reich gar nicht wieder erkennen, bei all den baulichen Veränderungen. Aber spannend wäre es schon….
Alles Gute für den Frühling, den Garten und die Hauserweiterung!!!
Wish I was there to help you & Martin that is right up my alley, I hope he has plenty of help with the big Chestnut beams!!!! Are you familiar with the reality show treehouse Masters now that would be a dream job I love watching it in the work they do well good luck take care mark