Raum – Einzug in unser Häuschen
In den letzten Wochen ist Martin mit dem Ausbau unseres Holzhäuschens fertig geworden. Und es ist wunderschön geworden! Es fühlt sich so anders an auf einmal mehr Raum zu haben und es tut uns allen gut. Sich umdrehen und kein Kind dabei umstoßen fühlt sich gut an, oder zu furzen und der andere hört und atmet den Pups nicht sofort ein ist auch schön, zum Beispiel. Hier und da fehlt noch ein Regal und Vorhänge und Bilder an der Wand, aber das kommt auch mit der Zeit. Ich bin froh, dass dieses Mammutprojekt nun mitten im regnerischen Herbst seine Vollendung findet. Rückblickend war es ehrlich gesagt sau anstrengend und hat sich gezogen wie ein heißes Kaugummi auf der Straße. Jetzt ist es vollbracht und ich bin dankbar für so einen talentierten, fleißigen und dabei stets besonnenen Mann!
Wir haben jetzt mehr Raum für andere Dinge. Für Projekte außerhalb unseres Zuhauses. Martin hat Handwerksaufträge, ich einen kleinen Onlinejob. Wir wollen finanziell auf die Beine kommen, denn Geldsorgen gesellten sich leider dieses Jahr auch dazu. Glücklicherweise ist Martin mit seinem vielseitigen Geschick überall gefragt. Ich habe ein kleines Nebengewerbe am Laufen und kann online ein wenig Geld verdienen. Nebenher nehme ich mir Pausen, um auch mal allein zu sein und mich um mich zu kümmern. Dieses Leben kostet so viel Kraft. Ich mache nun fast täglich Yoga, mein Rücken und ich brauchen das. Martin reicht es irgendwie wenn er einmal die Woche ins Fussball geht und ab und zu unter der Woche mal einen stumpfen Film anschaut. Unsere Individuen wieder mehr spüren und entfalten, das ist so wichtig. Wir haben die letzten drei Jahre auf wenig Raum gelebt, erst im Wohnmobil, dann auf knapp 30qm2 und zwischenzeitlich im Bell-Tent. Da wir jetzt wieder mehr Raum haben, merke ich, dass ich vorher oft überreizt war, weil pausenlos alles in meinem “Tanzbereich“ stattgefunden hat. Wir waren ständig beieinander. Es hat funktioniert, war aber nicht immer leicht.
Zumal ist das Leben mit drei kleinen Kindern schon so turbulent genug. Der Benno rennt im Moment durch die Gegend wie ein Berserker, treppauf treppab in Dauerschleife. Der hält uns ganz schön auf Trab. Er liebt: Die Gefahr!!! Wo Feuer, Messer, spitze Stecken, Glasscherben und rostige Scheren sind, da ist Benno! Wow, wildes Alter. Aber wunderschön. Er ist so ein lustiger Kerl und brabbelt irgendwie in verschiedenen Dialekten. Dabei bringt er uns alle oft zum Lachen. Und unser Jaro ist fleißig am Werkzeug sammeln und werkelt damit gerne draußen herum. Er war jetzt auch ein paar Mal im Fussballtraining und freut sich sehr daran neue Kinder kennen zu lernen und mit ihnen zu spielen. Die Lou sieht man seit gut einem Jahr pausenlos mit einem ihrer Lieblingsstofftiere unterm Arm oder in ihrem Kleid verstaut (immer das Selbe!). Vor einem halben Jahr erfuhren wir, dass sie eine starke Kurzsichtigkeit hat und seither trägt sie immer öfter ihre rote Brille. Sie schaut einfach fesch aus in ihrem grünen Leopardenkleid, ihrer roten Brille und ihrem Stofftier. Sie liebt es, sich um andere zu kümmern und möchte mal Tierärztin oder Menschenärztin werden. Und wenn ich so über meine Kinder schreibe, schmerzt mir mein Herz. Denn ich kann es momentan null genießen mit ihnen. Die Stimmung ist grade nicht so toll. Jaro ist oft Zuhause gelangweilt. Wir sagen ihm, Langeweile kann man auch als einen Freund sehen, denn aus Langeweile entsteht ganz viel Kreativität. Und es ist ja oft so, dass dann wie aus dem Nichts tolle Spiele entstehen. Doch uns fehlt das Dorf das uns unterstützt. Andere Vorbilder, die ihm was zeigen. Andere Freunde. Nicht nur unsere Gesichter. Wir möchten, dass Jaro und Lou mehr als nur uns und die Farm haben. Sie haben zum Glück auch andere Kinder in der Spielegruppe und die Nachbarskinder. Und da ist ja noch Oma die sie regelmäßig sehen und besuchen und bei ihr schlafen. Und Oma ist auch immer für uns da. Bin froh, sie bei uns zu haben. Doch irgendwie reicht es nicht aus. Wir sind mit unseren Nachbarsfamilien doch nicht so eng wie ich es am Anfang gehofft hatte. Unser Projekt des Gemeinschaftshauses liegt auf Eis. Wir verstehen uns gut mit ihnen, aber jeder hat viel zu tun. Jeder baut oder arbeitet nebenher.
Ich als Mama von drei kleinen Kindern bin über meine Kompetenzen hinausgehend gefordert. Unsere beiden Großen streiten oft. Oder hören mich nicht. Oder machen was kaputt. Oder sind laut. Sie sind einfach Kinder. Ist ja normal und wäre ich ausgeglichener, wäre es einfacher. Ich will ja auch keinen blinden Gehorsam. Eigentlich. Doch bin ich schlichtweg nur noch genervt und kann nicht aus mildem Herzen handeln. Und das ist natürlich auch nicht schön für sie. Auch ist das nicht das Umfeld das ich mir für sie wünsche. In manchen Situationen würde ich mich gerne an sowas wie die heilige Übermutter wenden weil ich trotz Ratgeber-Büchern ratlos bin und mir denke: Was mache/sage/tue ich jetzt?
Ich versuche mehr und mehr mich mit mildem Herzen zu sehen. Ich wollte nämlich immer alles alleine schaffen. Immer stark sein und am besten nie nach Hilfe fragen. Einwandfrei funktionieren. Und hatte und habe hohe Ansprüche an mich selbst.
Irgendwie traurig, was eine Leistungsgesellschaft aus einem macht. Ich hatte die Vision eine Freilerner-Familie zu sein, mit einer stärkenden Gemeinschaft drumherum, die das unterstützen kann. Denn ich finde die Idee vom Freilernen voll schön. Ich sehe auch, dass es funktioniert. (Jaro und Lou haben zum Beispiel in den letzten zwei Jahren nur durchs Spielen und Zuhören englisch und holländisch gelernt.). Auch die Überlegung das Kinder mit 6 Jahren ruhig am Tisch sitzen sollen ist doch einfach nicht cool. Wenn ich mir unseren aktiven Jaro anschaue, der ab September nächsten Jahres in die Schule müsste, dreht sich bei mir irgendwie der Magen um. Er setzt sich kurz mal an den Tisch, aber nie länger. Ich erinnere mich an einen Jungen in der ersten Klasse und er passte einfach nicht ins System. Er konnte nicht still sein, nicht sitzenen, den halben Tag. Er war voll Energie, quirlig und laut. Oft hat er geweint. Die Lehrerin hatte ihm oft die Schultasche ausgeleert und ihn geschimpft. Er tat mir so leid und ich frage mich was das langfristig mit ihm gemacht hat. Ich tat mir leicht, ich liebte es zu lesen und still zu sitzen fiel mir nie schwer. Doch auch ich habe mich nach dem Spielen gesehnt und fühlte mich oft eingesperrt und fremdbestimmt. Ein System das alle gleich behandelt und von allen Kindern das Gleiche zur gleichen Zeit fordert, macht für mich keinen Sinn. Meine Kinder zeigen es mir. Lou sitzt gerne und malt. Für sie wäre eine Schule schon eher vorstellbar. Ich würde das Freilernen für unsere Kinder dennoch vorziehen, wenn es geht. Bei dem das Kind in seinem Tempo lernt und bestimmt was es lernen möchte. Und es dann mit Material oder Experten in den Bereichen unterstützen. Denn Wissensdurst ist angeboren. Ich habe ihn irgendwann zwischen Realschule und Bachelorarbeit total verloren und muss ihn mir nun Stück für Stück zurückerobern. Denn als Kind wollte ich alles wissen. Ich habe meiner Mama Löcher in den Bauch gefragt. Wollte Naturforscherin werden. Und im Studium der Umweltwissenschaften festgestellt, dass ich die Lust am Lernen irgendwann aufm Weg verloren habe. Weil ich mir vieles aneignen musste, was ich nie gebraucht habe. Nie fürs echte Leben und auch nicht fürs Studium.
Doch Freilernen bedeutet, das zur absoluten Priorität zu machen. Und wir haben hier etwas gewagt, dass viel abverlangt. Und ich merke, ich schaffe es im Moment nicht, dieses Freilernen. Wir und eigentlich jeder mit viel Land der von Null auf anfing, (quasi wie wir erst im Camper lebend und sich dabei alles selbst aufgebaut hat) sind hier so stark mit uns selbst und den bevorstehenden Projekten beschäftigt. Und ich durfte erkennen, dass ich das Begleiten meiner Kinder dabei nicht mehr allein leisten kann, ohne unglücklich zu werden. Ich schreibe die ganze Zeit nur von mir. Martin ist natürlich auch da und ist ein toller Papa und macht alles was ich auch mache. Nur arbeitet er viel, entweder um Geld zu verdienen oder um es uns schön zu machen. Aber auch für ihn ist es viel. Und wir erkannten, dass wir in eine ungute Richtung gehen, die uns mit unseren Umständen eher Schaden zufügt. Es war für mich an manchen Tagen eine Grenzerfahrung, einen Tag alleine die Kinder zu haben, wenn Martin arbeiten gegangen ist.
Da musste eine Lösung her. Nun werden unsere beiden Großen bald den Kindergarten in der nächsten Stadt besuchen. Auch wenn es nicht der Super-Waldorf-Waldpädagogik-mega-alternatives-Schlagwort-hier-rein-Kindergarten ist, den ich mir für sie gewünscht hätte. Aber wir haben uns nun bewusst dafür entschieden. Martin und ich sind auch nicht grundsätzlich gegen Kindergärten oder gegen Schule. Ich finde nur das Konstrukt von Schule sehr starr und staubig und einfach nicht passend für alle. Und Aufgezwungenes find ich sowieso immer blöd. Und in einer bedürfnisorientierten Familie haben Martin und ich auch Bedürfnisse und die sind genauso wichtig wie die der Kinder. Und wenn das bedeutet, das Fulltime Freilernen erstmal hinten anzustellen. Das läuft uns ja nicht weg. Wir müssen uns als Familie wieder neu ausrichten und uns fragen: Wie wollen wir leben? Was hat oberste Priorität? Und was kommt danach? Ich weiß gerade nicht mehr so wirklich, was ich möchte. Wichtig ist, unser aller Seelenwohl und das hat, wie ihr herauslesen konntet, etwas gelitten in letzter Zeit.
Und um das Ganze mit etwas Positivem zu beenden: Feuersaison ist vorbei. Schon seit ende September, aber trotzdem. Dieses Jahr war echt heftig. Froh, dass es rum ist. Macht keinen Spaß. Uuuund: Unser Häuschen ist sooooo schön. Ich liebe es. Was für’n Raumklima mit dem ganzen Holz und es ist einfach so besonders.
Nun seid ihr wieder up2date! Licht und Liebe aus den verregneten Bergen Portugals.