Wachgeküsst! Oder: Auf Regen folgt Sonnenbrand
Hallo ihr Lieben aus dem frühlingshaften Portugal. Die schönste Jahreszeit hat Einzug gefunden: Saftig grüne Wiesen bedecken die Böden wie ein leckerer Apfelkaugummi-Teppich in den man gerne reinbeißen würde. Leider schmeckt er nach Öko-Saftkur. Gelbe Narzissen stehen in einer Tasse am Fensterbrett. Obwohl ich gesagt habe, ich fände es schön, wenn man sie nicht gleich köpft, kann Lou einfach nicht ihre kleinen Finger davon lassen. Insgeheim freue ich mich über diese süße Geste. Auch Jaro pflückt mir immer wieder Sträußlein und schenkt mir 4-blättrige Kleeblätter. Benno schenkt mir Käfer. Wenn er einen entdeckt schaut er mich an und sagt überrascht im Flüsterton: „Mamaaaa!“. Luna staunt auch über das wilde Tosen und Brummen in der Luft und jagt schwanzwedelnd Hummeln. Heute hat sie stolz eine ins Haus gebracht. Sie hat sich so über ihren neusten Schatz gefreut und ihn uns neben die Füße gelegt. Die Hummel war leider gar nicht froh, sondern halb tot und zuckend am Boden. Alles erwacht von einer langen und für mich schier unendlich andauernden Winterruhe, die von November bis März geht. Also quasi fast ein halbes Jahr. Auch zwei fette, fast handflächengroße Spinnen, die bei uns in der Schlafkammer für Ordnung sorgen wollten, erwachten aus ihrer Winterruhe. Während wir im Winter vor vielen Herausforderungen standen, spür ich nun wie wieder mehr Freude und Leichtigkeit im Herzen einzieht. Und wie sich Sonnenbrand auf den Schultern breitmacht. Und dann wieder Hagel in die Fresse fliegt.
Umgraben, säen und mehr
Baulich und arbeitstechnisch passiert am Land gerade wenig, weil Martin viel auswärts arbeitet. Er baut mittlerweile Gewächshaus-Domes für Kunden im Umkreis und baut eine Ruine von Freunden mit zu einem Wohnhaus aus. Nebenbei legt er bei uns neue Gemüsebeete an. Ich zu meinem Teil, esse Chips und kuck ihm dabei zu, wie er oberkörperfrei und schwitzend die Erde umhackt. Während ich angestrengt versuche mit meinen fettigen Griffeln die letzten Krümel aus der Tüte zu fischen, ist er so fleißig. Und dazu noch immer happy. Was ist nur los mit ihm? Frage ich mich, schmatzend.
Dieses Jahr werden wir mal versuchen richtig zu gärtnern. Zur Feuerprävention befreien wir das Land von zu viel Gebüsch, säubern das Land mit der Motorsense und machen es uns vorm Haus etwas gemütlicher. Es ist noch erdig auf unserer zukünftigen Terrasse und Martin plant eine Holzterrasse die wir mit einem Dach aus Kletterpflanzen begrünen lassen möchten. Und ich bin so stolz auf uns. So stolz, das nicht einfach aus einer Winterlaune heraus hingeschmissen zu haben. Sondern gewartet haben, bis der Sturm rum ist. Und haben nach nachhaltigen Lösungen für uns gesucht. Geduldig hineingespürt zu haben was jetzt gebraucht wird und was jetzt wichtig ist. Auch wenn es schwer war.
Ein kurzer Einblick in Janice Hirn
Im Winter war ich ungern ich. Jeder Gedanke, jede scheinbare Lösung waren so sinnbefreit. Die Gedanken hatten sich in eine endlose Spirale ins Nichts eingegliedert. Und ich durfte dann verstehen, dass ich nicht meine Gedanken bin und ich mich von ihnen nicht so in die Irre führen lassen darf. Einfach öfter raus aus dem Kopf. Deshalb: Yoga und Spaziergänge mit Luna. Einfach mal nicht Denken. Sondern im 2 Sekunden-Takt nach Luna kucken, die alte Jagdnudel. Ein Yogakurs mit dem Thema „Die Frau als zyklisches Wesen“ war dann ein kleiner Augenöffner. Mich als zyklisches Wesen anzuerkennen, das nicht immer gleich tickt, lerne ich gerade. Dass ich mal Bäume ausreißen kann und mich mal mit den Kindern um die letzten Chips streite. Und dass das okay ist. Und ich mich nicht fragen muss, was falsch mit mir ist. Gleichzeitig darf ich mich aber auch nicht hinter dem Vorwand des Zyklus verstecken. Und es als Ausrede nehmen. Sondern, zu schauen, wie kann ich mich besser um mich kümmern und wie kann ich das nach außen verständlich machen, ohne zum Oberdrachen zu mutieren?
Ich muss innerlich lachen, weil ich dachte schon mal: Also jetzt aber! JETZT weiß ich wer ich bin. So kindisch, oder? Ja, DAS bin ich mit Sicherheit! Wer weiß das schon und ist das wichtig? Die Sache mit der Selbstfindung? Dass man weiß, was einem gefällt und was nicht, entwickelt sich doch auch. Und kann sich verändern. Und ich merke auch, was mich triggert, wo ich bei nem Therapeuten mal fragen würde. Ob das normal ist, wenn ich mein Handy vor Wut werfe und zu den Kindern sage: „Atme die Wut einfach weg, Jürgen, aber Türen knallen, das geht gar nicht!“ Aber wer sind wir Menschen? Ich denke wir können eins mit Sicherheit sagen: Wandelbar. Und immer am Weiterentwickeln. Am Dazulernen. Und vielleicht interessiert euch dieses Spiri-Geplapper auch nur nen Vogelschiss und ihr wollt eigentlich nur wissen was wir grad am Grundstück so machen und dazu noch paar Bilder vom oberkörperfreiem Martin? Forget it. Here comes the real shit.
Aber noch schnell kurz zur Info: Ich bin aus dem Tief wieder rausgekommen und hänge nicht im Takt des Windes mitschwingend zwischen unseren Eichen. NEWSENDE ++++
Im Frühling weiß ich wieder warum wir so leben, wie wir leben. Das Leben im Tiny Haus ist so viel leichter wenn man viel draußen sein kann. Und wenn die Sonne scheint, haben wir auch genug Strom zum Waschen und Staubsaugen. Im Winter müssen wir mit dem Strom haushalten. Manchmal ist es gut den Sturm ziehen zu lassen und den Staubsauger ruhig zu halten. Sich willentlich dem beugen das einem das Leben schwer macht. Ist auch eine Superkraft. Also nicht generell. Eben bei Dingen die man nicht sofort ändern kann. Umstände. Wie dem einsamen Winter hier. (Wann kommt denn jetzt dieser Klimawandel bei uns an??? Wir haben grad 7 Grad. Am 17. April.) Da wir uns auch erst in diesem Leben finden und unser Leben neuerfinden, gibt es manchmal einfach nur “Trial and Error“. Und zwischendurch wieder eine Neukalibrierung. Und das gibt uns ein starkes Gefühl der Selbstermächtigung und –wirksamkeit. Und das gibt mir Energie und vor allem: Lebenssinn. (Und macht gleichzeitig auch manchmal sehr müde.)
„Und was ist jetzt? Gehen oder bleiben?“ – Die Frage die ich mir im Winter stellte
Seit ich wie ein Erdkäfer aus dem Winterloch rausgekrabbelt bin, finde ich es so wichtig jetzt weiterzumachen und nicht gleich den Gehstock zu zücken. Blind einen Neuanfang wagen. Ich wüsste ja gar nicht wo es anders ist. Wo ist es besser? Wo fühlt sich das Leben leichter an? Jedes Leben hat seine ganz eigenen “Herausforderungen“. „Choose your hard, baby!“ Für mich persönlich ist es ein Wachstum, ein Fortschritt, nach diesem schwierigen Winter an diesem Traum hier festzuhalten. Aus diesem Tief etwas für mich mitgenommen zu haben. In der Vergangenheit zückte ich gerne schnell den Gehstock und floh von etwas. Ich möchte nie wieder fliehen. (Klingt dramatisch. Meine Großeltern mussten wirklich im Krieg fliehen und ich schreib hier so opfermäßig. Sorry Oma und Opa! Das war mehr so die Kategorie: Fliehen aus Alltagssituationen.)
Ja, der Winter war sehr herausfordernd. Und ja auch hierzu: Wir fanden und finden für alles eine Lösung. Das kann ein Anpassen an Umstände sein. Ein Ausprobieren und Chancen geben. Ein Ausharren und Visionieren. Vielleicht sogar ein Neuanfang irgendwo anders. Aber was ich nicht möchte, ist, dabei unsere Werte zu ignorieren und blindlinks in eine Richtung zu steuern. Dieses Leben hier ist für mich ein Goldschatz. Dabei meine ich das, was wir uns in den letzten drei Jahren erarbeitet haben: Unser Mini-Holzhaus, unseren Obstbaumgarten, unsere geknüpften Freundschaften und starken Verbindungen mit Menschen. Wir haben viel Kraft, Durchhaltevermögen, Geduld, Mut und Wille gebraucht für unseren Traum. Eigentlich war es überhaupt kein richtiger Traum. Sondern etwas viel Tieferes, das Martin und ich selbst nicht ganz verstanden hatten, glaub ich. Es war vielmehr wie ein innerer Ruf dem wir gefolgt sind. Nicht wussten wo er uns hinführt, ließen wir uns treiben und landeten hier. Und es hatte sich oft angefühlt wie ins Wasser zu springen und dabei zu kucken wie wir uns auf lange Sicht über Wasser halten können. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass wir nicht mehr im Wasser treiben und langsam Boden unter den Füßen spüren. Martin bekommt Jobangebote, die sich mit unserem Off-Grid Mini-Farm-Tiny-House-Selbstversorger-Permaculture-(weitere IN-Begriffe/Schlagwörter bitte hier rein)-Leben vereinbaren lassen. Wir haben es gedreht und gewendet und ausprobiert und wissen: Ein Vollzeit-Job macht mit dieser Lebensform keinen Sinn. Dann brauchen wir nicht so abgeschieden auf 4 Hektar leben. Wir haben auch drei Kinder die uns noch sehr nah brauchen. Und schon allein wegen der Feuer, ist die Verantwortung auch riesig. Und ehrlich, ich bin einfach keine glückliche Hausfrau. Ich bin Wildfrau.
Wenn Aspekte von unserem Leben hier irgendwann nicht mehr mit unseren Werten vereinbar sind, werde ich loslassen können. Dann kann ich von hier gehen. Oder natürlich, wenn wir das Gefühl haben uns ruft etwas anderes und das zieht uns von hier weg. Erst dann kann ich auch mit gutem Gewissen gehen.
Schlussparagraph:
Was für eine Wonne, immer wieder zu bestaunen, wie sich das Land unter unserer Hand formt und wie die Natur explodiert. Gerade im Frühling. Ich pflanze und säe. Und bin irgendwie glückselig. Auch wenn das Wetter mit uns macht was es will, super aprilmäßig eben von Sonnenbrand bis Hagel, ist alles dabei. Ein Teil meiner Familie ist gerade für eine Woche da. Mein Bruder hat mich auch überrascht und sieht zum ersten Mal wie wir leben. Der Versicherungsberater und seine sich primär wie ein Wurm in der Erde windende Schwester. Wirklich verrückt. Fühlte ich mich noch vor ein paar Wochen verlassen und hilflos. Fühle ich mich gerade genau umgekehrt.