Herbst Nummer vier
Es ist schon so lange her, dass ich von uns geschrieben habe. Ich bitte um Milde – irgendwie war so viel los. In mir und drum herum.
Ich bin heute missmutig, weil ich in einer kleinen großen Krise stecke. Der Benno braucht mich nicht mehr so nah und ist mittlerweile schon so groß, dass die Menge die er kacken kann nicht mehr in die Windel passt und der Ausscheidungsbrei meist seitlich aus den Windeln rausquillt. Bis auf Windeln wechseln und den Kerl danach komplett abzubrausen, die Familie bekochen, aufzuräumen, zu putzen und mich ab und an um den Gemüsegarten zu kümmern habe ich keinen richtigen Auftrag. Also das alles füllt den Tag ganz gut. Aber die frohe, aktive und leicht verrückte Janice mit den hundert Ideen geht in den letzten Jahren viel zu oft im Alltag verloren. Da ist das Gefühl mir wird nach und nach meine Daseinsberechtigung entzogen, weil der Benno ja gefühlt schon so erwachsen ist und heimlich mit Streichhölzern spielt. Er entwächst meinem Bedarf an Ummutterung und er entwächst meinen gewohnten Arbeitsaufträgen. Mein Gehirn muss umprogrammiert werden. Es ging so nebenbei und doch plötzlich realisiere ich, was da gerade passiert. Die Kinder werden größer und ich lasse sie mehr und mehr ihren Weg erkunden. Es entlastet mich und ich möchte sie am liebsten gar nicht wachsen sehen. Jede Mama geht da durch. Aber niemand kann einem sagen wie schwer das tatsächlich ist.

Wir switchen nach außen: Viele Portugiesen fragen sich, warum Menschen so bescheuert sind – wie beispielsweise wir – und sich dazu entscheiden, in die Serra Estrela zu ziehen. Viel zu kalt! Wenn man aus Deutschland kommt, dann kann man auf solche Aussagen nur mit einem fast schon abschätzigen, lässigen Lächeln antworten: Nachdem man die deutschen grauen Winter mit dem ekligen Matschschnee kennt, fühlt man sich einfach wie ein absoluter Winterexperte. Doch es stimmt: Das Klima der Serra kennt nur zwei Extreme: Zu trocken oder eben zu nass. Im Herbst/Winter/Frühling ist es hier sogar verregneter als in Deutschland und zudem kälter als in den meisten Regionen Portugals. Fährt man 1,5 Stunden von uns in den Süden, ist das Klima trockener und wärmer. Während wir am Berg im matschigen Regenoutfit gegen den Wind ankämpfen, machen Freunde von uns südlich der Serra Gartenarbeit in kurzer Hose. Die Janice, die sich dem portugiesischen Winter für mehr als gewachsen gefühlt hatte, wurde schon im ersten Winter kleinlaut und ist seitdem nicht mehr unter ihrem fiktiven Regenschirm hervorgekrochen.

Wetterupdate November: Nach einem brillianten und wunderschön milden September und Oktober stürmt es immer wieder heftig. Dabei kommt der Regen von allen Richtungen. Bei jeder stärkeren Windböe gibt unser Holzhaus den ein oder anderen ächzenden Ton von sich. Unsere Tiere – dazu zählen neben Hund und Katz, auch mittlerweile 6 Hennen mit Hahn namens Eiffel (wie der Turm-fragt mich nicht) – sie alle verkriechen sich und wollen nur schlafen und von Strand und Cocktails träumen. Genauso fühle ich mich auch. Meine innere Stimmung passt an Sturmtagen so gar nicht damit zusammen, mit drei energiegeladenen Kindern in einem Tiny House zu wohnen. Das sind die Tage an denen ich es drinnen manchmal nicht mehr aushalte, und mit Ohrstöpsel in den Ohren versuche zu existieren. Es ist manchmal Hardcore in unserem überschaubaren Zuhause. Urgemütlich, aber gerade wenn es regnet, eben auch manchmal vielleicht ein klein wenig an „VIELZUWENIGPLATZ“. Aber! Und jetzt kommt ein gutes Aber, denn manchmal sind Abers gut: Aber dieser Winteranfang ist schon um Meilen besser als die letzten drei. Und ich bin mittlerweile der festen Überzeugung, dass man dem Winter zuvorkommen muss, bevor er auf dumme Gedanken kommt. Ich habe für Winter Nummer 4 vorgesorgt: Mit Sonnenvitaminen und Solo-Wanderungen und dem Satz: „Tue es trotzdem!“. Nun – da unsere Hütte mittlerweile ja ein Tiny House ist und kein Schuppen mehr, kann ich auch bei Regen und Sturm Leute einladen und es fühlt sich nicht mehr an wie morgens um 7:45 Uhr in der U-Bahn im Hauptbahnhof Nürnberg Richtung Schule.

Aber an sonnigen Herbsttagen wie heute haben wir es gut. Denn dann zaubern die leuchtend gelben Blätter der Kastanienbäume gemeinsam mit der tiefstehenden Nachmittagssonne betörende Licht- und Schattenspiele in unsere Stube. Hach da fühl ich mich gleich wie von Friedrich Schiller abgeschnulzt selig. An solchen Tagen fühlt sich vieles leichter an. Dann machen wir manchmal Lagerfeuer (weil Jaro uns überredet) und essen vom Land gesammelte Maronen. So wendet sich der Herbst langsam dem Winter zu. Die Kinder wollen Weihnachtsdinge tun und ich gebe mir Mühe. Wir haben die klassischen Adventskalender gekauft und die Kinder freuen sich schon so darauf. Ich bastle weihnachtliche Deko aus Nadeln und Stecken und gebe mir Mühe dem Drang zu widerstehen, hässliche und für die Qualität überteuerte Plastik-Christbaumkugeln im Chinaladen zu kaufen, nur weil ich wüsste wie die Kinder strahlen würden wenn wir unsere Kiefer vorm Haus damit schmücken würden. Naja die Entscheidung habe ich noch nicht getroffen. Aber was ich definitiv weiß ist Folgendes: Ich nehme die Kinder nie wieder mit zum Einkaufen! Man wird ja regelrecht beworfen mit Dingen die nach Weihnachten glitzern. Und die Kinder möchten natürlich gerne alles mitnehmen…Und dann gibt es jetzt so Einkaufswägen in Kindergröße. Das kennt ihr in Deutschland bestimmt nicht -ist mega innovativ- und die Kinder wollen jeder einen und racen dann durch den ganzen Laden und Benno rammt dann einfach fremde Menschen. Letztens hat Lou dann noch im Streit mit Benno ausversehen eine Tüte mit Brötchen zerrissen und überall lagen sie am Boden verteilt, weil diese Plastiktüten einfach immer dünner werden und Benno hat dabei seinen unausstehlichen Ferkel-Schrei losgelassen und im gleichen Moment hab ich noch jemanden getroffen den ich kenne und wollte mich kurz unterhalten. Ich hab mich zuerst verabschiedet als begrüßt – ich kann sowas nicht. Wen wundert es also noch, dass ich sozial verkümmere.

Im September ist unser Jaro hier in die Schule gekommen. Das war groß! Irgendwie hatte ich gehofft ihn zurückstellen zu können. Ich wollte ihm noch ein Jahr Zeit geben. Doch im Grunde war ich diejenige die noch nicht soweit war. Tatsächlich hatten wir auch eher Schlechtes von dieser Schule gehört als uns recht ist, was in mir Unmut auslöste. Doch mir lief auch die Zeit davon: Ich war über meiner Grenze. Mein Traum, die Kinder als Freilerner zu begleiten wäre der absolute Overkill gewesen. Und deshalb bin ich froh, dass Martin und ich Klarheit hatten, dass wir die reguläre Schule auf jeden Fall probieren werden. Und siehe da, es hat sich gelohnt sich dem zu öffnen: Jaro geht mittlerweile echt gerne und kommt meist mit einem Grinsen und neuen Pokemonkarten aus der Schule. Die Klassen sind klein, er hat eine liebe Lehrerin, die ihn sehr unterstützt, nette Kinder in der Klasse und dabei lernt er die Sprache von ganz allein. Zudem hat er noch eine Extra-Lehrerin die nur für ihn unterstützend da ist und mit ihm Übungen macht. Er knüpft Freundschaften. Ich bin dafür so dankbar, denn ich weiß, das ist nicht selbstverständlich.

So liebe Freunde, ich habe keine Worte mehr. Bis zum nächsten Blogeintrag. Die gezeigten Bilder sind übrigens auf einer 3-tägigen Wanderung über die Berge der Serra mit unserer Hündin Luna entstanden. Alles Liebe, eure Janice
