Zwiegespalten durch die Nacht
Es ist 22 Uhr und der Vollmond lässt draußen gar nicht Nacht werden. Alle Kinder schlafen schon längst. Auch der kleine Martin ist beim Geschichte Vorlesen eingeschlafen. Er übernimmt das, seit der Benno auf der Welt ist. Ich stille Benno auf der einen Seite der Matratze und Martin liegt zwischen den beiden Großen auf der anderen Seite und liest ihnen jeden Abend eine oder zwei Gute Nacht Geschichten vor. Sie scheinen in einer anderen Welt zu sein. Jeden Abend lieg ich da und bin froh dass der Tag zuneige geht und mein Körper ruhen darf. Ich genieße diese Ruhe, wenn Benno an der Brust trinkend einschlummert und die anderen beiden gebannt der beruhigenden, tiefen Stimme des Geschichtenerzählers lauschen. Das ist Glück. Diese Momente wo alle friedlich liegen. Bei unserem Abendritual. Und doch vermisse ich meine beiden Großen hier auf meiner Seite der Matratze. Meine Großen, die doch erst vor kurzem noch so klein waren. Die Ambivalenz des Lebens.
Es ist stürmisch heute Nacht. Laut bahnt sich der Wind seinen Weg durch den Wald der uns umgibt. Es raschelt, pfeift und knarzt. Der Wind lässt unser Tarp vorm Haus auf und ab hüpfen und das Windspiel im Dauertakt dudeln. Unsere Nachbarn schreiben mir, dass die Jurte mit dem Winde abheben wollte. Sie mussten sie fester zurren. Ihr Land ist recht ausgesetzt und offen. Wir haben die Bäume, die den Wind abbremsen. Heute Abend hält sich meine Müdigkeit also dank des Windes und wahrscheinlich auch wegen des Vollmondes, in Grenzen. Mein Hirn scheint die Energie vom Sturm aufzunehmen und will am liebsten gerade alles denken. Viele Gedanken wurden in den letzten Tagen gedacht, viele Worte gesagt und weiterhin treiben wir im Meer der unendlichen Möglichkeiten. Ein Schritt nach dem anderen, versuch ich mir einzureden. Doch das ist leicht gesagt.
Doch was ist eigentlich bei uns los? Das versuch ich hier in Worte zu fassen. Wir sind aus Deutschland weg weil in Martin und mir schon lange ein Gefühl war, dass wir etwas vermissten. Es war ein Gefühl welches uns gehen ließ. Und die Neugier. Um zu sehen, was da an dem Gefühl dran ist. Und was da draußen noch für uns ist. Über drei Jahre später sitz ich hier in unserem Holzhäuschen in den Bergen Portugals. Auf unserem Stück Land mit den alten Bäumen und den Bächen und dem kleinen Wasserfall. Dieses kleine Haus, welches Martin alleine für uns ausbaute. Es ist für mich immer noch ein Wunderwerk und ich weiß nicht wie er das gemeistert hat. Und dieses Land was uns fast schon natürlich in die Hände fiel. Ohne groß zu überlegen wagten wir den Schritt und wanderten aus. Denn wir fühlten in dem Moment, wir wollen es probieren. Denn wenn wir es nicht tun, werden wir uns fragen wie es wohl gewesen wäre. Und es war gut so.
Und doch war das letzte Jahr mit dem Hausbau besonders zehrend. Auch das Jahr zuvor mit Bennos Geburt. Es war wundervoll und ich bin so froh und dankbar, dass er zu uns kam, dieser wilde und süße Bub. Doch mit einem dritten Kind am Start dieses verrückten Selbstversuches hier als Familie zu leben, ist doch noch einmal eine andere Hausnummer. Und dann das Jahr zuvor mit dem Riesen-Feuer – was ohne Mist eine Feuerprobe war. Es war alles schön, aber auch sehr sorgenvoll. (Stimme aus dem Off: „Na, na, na Janiceeee nicht so negatiiiiv! Du bist der Meister deines Lebens – du hast es in der Hand. Schau in den Spiegel und verändere dich. Dann wird sich alles um dich herum verändern.“ Ja, ich schau jeden Tag in den Spiegel und merk: Dieser Meister seines Lebens müsste mal zum Friseur. )
Ja, okay: Natürlich gab es zauberhafte und wundervolle Momente zugleich. Und es sind nicht nur Momente, ich liebe es hier in der Natur zu leben. Ich liebe die gute Luft, ich liebe die Bäume, die so viel Stärke und Weisheit ausstrahlen, ich liebe den weiten Himmel der hier so groß scheint, ich liebe die vielen verschiedenen Wildblumen, ich liebe die klaren Sternennächte und ich liebe die glänzenden großen Ölkäfer, ich liebe die Feuersalamander-Nächte, ich liebe die Eulen und Käutze die wir Nachbarn nennen dürfen, ich liebe es Feuer zu machen wie oft und wann wir wollen- aber nicht im Sommer, da mag ich die Feuer so unendlich gar nicht- ich liebe die Sonnenuntergänge, ich liebe die Ruhe und das uns hier niemand sieht und wir hier nackig rumrennen können oder einfach überall hinpinkeln, ich liebe das Luna hier so ein freier Hund sein darf, ich liebe es in dieser wundervollen Natur zu stehen und einfach zu beobachten. Alleine das. Und zu wissen: Sie braucht mich nicht, aber ich brauche sie und dass ich sie liebe und auf ewig schützen will. Das erkenne ich hier wieder und wieder und wieder. Und das ist wie atmen und deshalb bin ich hier. Meine kleine heile Welt.
Mir laufen beim Schreiben hier die Tränen runter weil es mir wirklich so weh tut was mit unserer Erde passiert. Es gibt keine heile Welt. Ich habe die Hoffnung, dass es besser wird, nicht verloren, aber manchmal fühlt man sich so ohnmächtig. Gerade wachsen Generationen an kleinen Menschen heran, die so abgeschottet von der Natur aufwachsen. Sie werden den Wert der Natur vielleicht nie kennen lernen, wenn sie die meiste Zeit ihrer jungen und so prägenden Jahre innen sitzen. Und das macht mir Sorge. Kinder sind die Zukunft und unsere Hoffnungsträger. Und wir als Eltern haben so eine große Verantwortung mit unseren Kindern. Wir haben die Erde nur geborgt von unseren Kindern. Und wir haben es alle in der Hand unseren Kindern zu zeigen was es zu schützen gilt. Nämlich unser aller Zuhause.
Und manchmal tut es weh Kinder zu haben, in einer Welt wo der Großteil scheinbar ganz andere Werte hat wie einer selbst. Und hier auf unserem Land vergisst man leicht, was da draußen so vor sich geht. Hier dürfen wir uns selbst ausprobieren und Kinder sein. Hier gibt es noch Natur statt gezähmten Garten. Und ich wollte das alles unseren Kindern als Abenteuerspielplatz zu Füßen legen. Ihnen das Gefühl schenken, wie es ist, tagsüber auf Bäumen zu klettern und abends am Feuer mit Stockbrot im Bauch müde zu werden. Sie haben schon so viel von der Natur gelernt. Sie können zum Beispiel Fuchs- und Wildschweinkacke auseinanderhalten (Benno sogar geschmacklich! Haha igitt, das wäre selbst für Benno krass :D)!. Sie kennen und lieben wilden Fenchel, sie heilen ihre Wunden mit Spitzwegerich und essen liebend gern den Kohl roh aus dem Garten. Für allein diesen Wissensschatz hat sich die Mühe der letzten Jahre gelohnt. Ich bin so froh um viele Erfahrungen hier.
Und doch fehlt hier was und wir müssen als Familie ein paar Entscheidungen treffen. Nicht alle Antworten finden sich im Außen, aber es gibt gewisse Dinge, die Menschen zum Leben brauchen um gut zu gedeihen. Und ein Punkt ist bei mir die letzten Jahre sehr verkümmert. Menschen brauchen Menschen. Wir sind soziale Wesen und es ist hier einsamer als ich erwartet hatte. Die Menschen leben zurückgezogener als ich gedacht habe. Ich erlebe ja selbst, es kostet so viel Kraft diese Art zu Leben und auch ich habe mich aufgrund dessen oft zurückgezogen. Um wieder Energie zu tanken. Um Weiterzumachen. So sehr ich es hier liebe, aber auf Dauer weiß ich nicht ob ich mit diesem Gefühl der Einsamkeit leben kann oder ob es besser wird. Diese Einsamkeit, die einen Schatten über diese traumhafte Idylle legt. Ich vermisse meine Familie und daran gewöhne ich mich wohl nie. Ich vermisse auch einen Platz in einer Gemeinschaft zu haben… „Happiness is only real, when shared.”, schrieb einst Christopher McCandless aus dem Film ‘Into the wild’. Als er nach Monaten alleine in der Wildnis erkannte, dass er blöd gesagt, gern nen Freund dabei gehabt hätte. Und nicht nur von Beeren und Bären leben kann. Und das ist die Quintessenz, die ich auch hier erkenne. Aber das alles aufgeben? Puh, das ist auch ein grauenvoller Gedanke. Ich weiß es nicht und ich wünsche mir in den nächsten Monaten mehr Klarheit darüber zu finden.
Also: Alles Schritt für Schritt. “Schritt-Atemzug-Besenstrich…Du darfst nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst Du? Du musst nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.[…]“ (aus Momo).
Danke dir für diesen ehrlichen und schönen Artikel
Vielen Dank 🙂
So schön geschrieben Janice. Ihr werdet euren Weg finden und gehen, habt einfach Vertrauen. Das Leben sorgt für uns!
Liebe Grüße von Tommy, Jamie und Katja
Oh vielen lieben Dank Katja! Danke für deine Worte! So weise 🙂 Alles Liebe für euch <3
Wir vermissen euch auch hier❤️wir denken ganz oft an euch😘 es gibt immer pro und contra… das was eure Kinder jetzt erleben dürfen, können nicht viele und wer weiß was in ein paar Jahren ist, ihr seid doch frei in euren Herzen und nie gebunden an einen Ort😘😘 lieb euch eure Kezz
Liebe Kezz, vielen Dank! Ich versuche mehr im Moment zu leben. Und kalt duschen am Morgen bringts auch für die Laune. Haha! Lieb dich und euch. Bussi :*