Gedanken im Sommerkleid
Dass Sonnenbrand und Anpassungsstörungen irgendwie jedes Jahr dazu gehören, hab ich ja schon mal erwähnt. Gefühlt haben wir hier wo wir in Portugal leben, zwei Wochen lang deutschen Sommer. Also alles grün und es ist heiß. Und es geht einem voll gut. Doch dann wechselt das Sommerkleid von grün zu braun. Es ist so heiß, dass man quasi gegen eine Wand läuft, wenn man aus dem klimatisierten Supermarkt rauskommt. 6 Stunden am Tag kann man weder klar denken noch sich annähernd produktiv betätigen. Während sich Hummeln, Bienen, Schmetterlinge und blau rot schimmernde Käfer sich in den letzten Blumenmeeren tummeln, beginnt drum herum das stetige Säubern von aller Art Vegetation.

Freischneider, Rasenmäher und Traktoren mit rotierenden Ketten frisieren die Landschaften kahl und machen sie bereit für die anstehende Feuersaison. Auch wir waren gut dabei, unser Land von trockenem Gestrüpp und Wiesen zu befreien. Irgendwie eine saisonale Tragödie die ich da erleide und gleichzeitig eine unumgängliche. Ich liebe einfach Ungezähmtheit. Doch seither unsere Wiesen ums Haus kurz sind, sieht unser Gärtchen doch ganz schön aus. Irgendwie weiter und landschaftlich diverser. Und unsere Obstbäume die wir vor drei Jahren gepflanzt haben, sehen prächtig aus. Sie haben uns schon beschenkt und wir durften in den Genuss von 7 Kirschen und eine handvoll Felsenbirn-Beeren kommen. Außerdem durften wir für eine Zeit auf eine Ziegenmama mit ihren zwei zuckersüßen Töchtern (Schlappohr und Zicki- Lou hat sie so benannt), sowie die etwas übergewichtige Hängebauchschwein-Dame „Schweini“ aufpassen. Das war eine Freude für die Kinder. Ich habe mich Morgens ans Melken gewagt und es hat ganz gut funktioniert. Unser leckerer Cappuziego® (Kaffee mit aufgeschäumter Ziegenmilch) war jeden Morgen drin. Außerdem war es schön, mal nicht die einzige zu sein die ständig gemolken wird. #jaichstillemein2jährigeskindnochundjaesnervtaberwassollichsagenistauchschönirgendwie

Kleine, mit Erde befleckte Finger zupfen Johannisbeeren, Himbeeren und Erdbeeren von den Sträuchern. Roter Beerensaft klebt an Mundwinkeln. Gemüsebeete werden gegossen, Erbsen, Salate und Mangold geerntet. Das Heranreifen der ersten Tomaten und Gurken. Schmetterlingskokons werden in ein sorgsam gestaltetes Forscherglas gelegt und die wundervolle Metamorpose bestaunt. Die Kinder kümmern sich um ihre eigenen kleinen Beete die sie mit Tomaten, Mangold und Erdbeerpflanzen begrünt haben. Die Draussenzeit hat so richtig begonnen. (Naja, unter 34 Grad ungefähr. Denn über 35 Grad hält man es selbst bei uns nicht wirklich aus…) Dann sind wir im Planschbecken, am Spielen mit den Autos oder die Kinder rasen mit ihren Bobbycars den Berg hinunter. Die Staubfahnen die sie jedes Mal umhüllt, lassen sie abends wie drei kleine Schornsteinfegerchen aussehen. Sie haben Schürfwunden und blaue Flecken. Zum Glück sind noch alle Zähne drin. Gestern hat Lou vom Jaro nen Karton aufs Auge bekommen. Kleiner Melt-Down im Lidl. Sofort blau und dick. Und damit heute Morgen in den Kindergarten. Ja und irgendwie sind im Kindergarten alle anderen Kinder so sauber, fast schon lupenrein. Es gibt hier auch keine Sandkästen auf den Spielplätzen. Nur so Gummimatten. Dürfen sich die Kinder hier überhaupt dreckig machen? Ich hab noch kein schmutzig aussehendes portugiesisches Kind gesehen. Naja vielleicht ein oder zwei. Aber die gelten nicht, weil die sind genau solche staubigen Hillybillies wie wir. Ich wurde am Anfang von der Kindergärtnerin darauf hingewiesen den Kindern saubere Sachen anzuziehen. Das alles, damit die Kinder nicht so auffallen. Mir sind Flecken nie aufgefallen, war mir nie wichtig. Ist mir eigentlich immer noch egal. Doch ich verstehe den Hintergrund und da die anderen Kinder wirklich wie aus dem Kindermodemagazin entsprungen in den Kindergarten kommen, bemühe ich mich darum. Nicht so leicht manchmal, weil Lou stoisch an ihren Lieblingsklamotten hängt und ich auch oft mit dem Waschen nicht hinterherkomme. Aber ich denke es passt. Haben sich zumindest nicht mehr beschwert. Die pingelige Kindergärtnerin mit dem strahlend sauberen weißen Kittel hat auch die Gruppe gewechselt. Alles fügt sich.

Die letzten Nächte haben wir im Zelt geschlafen. Wir haben uns vor ein paar Jahren ein wunderschönes Baumwoll-Tipi-Zelt bei Draussen Erleben in Heilsbronn gekauft. Die Kinder lieben es auch im Zelt zu schlafen. Wir werden morgens vom Gezwitscher der Vögel geweckt und diese frische, klare Luft im Zelt ist wie Balsam für den Körper und den Geist. Das ist für mich Wellness. Luxus rustikal. Und genau das ist einer der Gründe warum wir hier sind. Mir wurde mal gesagt, dass es doch auch ein Park täte in den man gehen kann. Da braucht man doch nicht so viel Land. Für mich kann man das nicht vergleichen. Dieses ruhige Leben ohne große Hektik und Ablenkung berührt und beruhigt einen nachhaltig und ist kein kurzer Spaziergang im Park. Das einfach Sein im Hier und Jetzt und sich den unveränderlichen Gesetzmäßigkeiten der Natur fügen. Mit ihr zu sein. Sie mit allen Sinnen zu spüren. Ihr lest`s, ich bin voll die närrische Naturfreundin! Natur und Ruhe, die ich so viel haben kann, wie ich will. Natürlich sind die Gegebenheiten, wenn man es so nennen mag, auch Bürde. Die hohe Brandgefahr in den Sommermonaten. Diese Abgeschiedenheit, als wäre der Rest der Welt so weit weg. Und natürlich, es hätte nicht so viel Land sein müssen. Bräuchte ich auch gar nicht. Aber das Land hier gab`s halt nur in groß. Und es war `ne Herzensentscheidung. Wenn man alles vom Verstand abhängig macht, kann man doch gar keine unvernünftigen Entscheidungen treffen. 😉

Seit dem regnerischen und unendlich währenden Winter ist es hier im Sommer fast unbeschwert. Diese Bipolarität macht mich schon nachdenklich.
Was dieses Leben so besonders macht, ist, dass wir als Familie stark zusammenhalten müssen. Konflikte werden nicht über Tage hinweg gezogen wie ein lappriger Kaugummi. Persönliche Grenzen werden mit Nachdruck gesetzt. Romantik weicht Pragmatismus. Martin und ich finden uns als Paar aber auch immer wieder. Zwischen Wutanfällen, Windelwechseln und Einschlafbegleitung und dem Aufbau unseres Lebens hier. Wir haben es nicht zugelassen, dass uns der Druck der hier auf der Beziehung liegt auseinander treibt. Es hängt hier so viel vom Funktionieren des jeweiligen anderen ab, dass die Romantik oft nur durch den Humor erreicht wird. Ein lustig tönender Furz kann plötzlich ein Trittstein sein, um den Hintern des anderen wieder anzuschauen.

Die Erfahrungen die wir täglich machen und die Hochs und Tiefs der letzten drei Jahre hier haben uns am Ende gestärkt. Unser Rückenpelz wurde dicker. Die erdigen Hobbitfüße breiter. In diesem Leben als „Semi-Aussteiger“/“Selbstversorger-für-Dummies“ geht es wieder und wieder darum unseren eigenen Weg zu finden. Und wir wollen dem Leben hier eine richtige Chance geben. Und wie das möglich gemacht werden kann, auf gesunde und damit nachhaltige Art und Weise. Wir probieren Dinge aus, die wir uns vor ein paar Jahren noch nicht hätten vorstellen können. Wie die reguläre Schule und Kindergarten. Was für uns jetzt auch nicht DIE Lösung schlechthin ist, aber es ist ein Versuch und wir sind alle okay damit für jetzt. Manches braucht auch Zeit und ich bin der Überzeugung, dass sich alles fügen wird.

Vor drei Jahren kamen wir hier her und haben uns auf ein Riesenabenteuer eingelassen. Hals über Kopf. Wir haben uns komplett ausgetobt und ausprobiert. Und haben keinen Schritt davon bereut. Wir haben so viel gelebt hier. Und es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Wie ein ganzes Leben. Vor einiger Zeit hatte ich kurz mal den Gedanken, dass es okay wäre jetzt zu sterben. Denn ich hatte so ein wunderschönes Leben. Versteht mich nicht falsch, ich möchte natürlich noch ganz lange leben. 🙂 Ich liebe das Leben und bin so dankbar für alles was ich erleben durfte! Und freudig darauf, was noch alles kommen wird: Ich will mit meinen Kindern und meinem Martin noch so vieles erleben! Sie alle geben mir Sinn und bringen mein Herz zum Strahlen. Ich möchte meine Drei aufwachsen sehen und sie auf ihrem Lebensweg begleiten. Und ich wünsche mir einmal, eine coole Omi zu sein. Auf all das habe ich so Lust! Und jetzt diese Gedanken an den Tod. Und das Okay-Sein mit dem Tod. Das hat mir auf zauberhafte Weise inneren Frieden gegeben. Und ich hätte auch nicht gedacht, das mit euch zu teilen, aber ich fühle, es ist so wichtig das zu teilen: Einfach das zu tun was einen glücklich macht. Das Leben zu leben, was zu einem passt, egal was andere sagen. Dabei seinem Herzen zu folgen und dabei Frieden zu finden. Denn unsere Zeit hier auf der Erde ist begrenzt, wir haben nur den Moment und wir haben das Privileg zu entscheiden wie wir unser Leben gestalten.

Tief drinnen ist das Gefühl, da wartet noch so viel mehr auf uns Chummels. Das Leben steckt voller Überraschungen und ich freu mich auf alles was kommen mag. Aber egal wie es weitergeht, als Mama von drei tollen Zwergen und Partnerin eines mindestens genauso unkonventionellen Martins bin ich im Moment genau da wo ich sein möchte.
Eure Janice.
Sooo schön und bewegend